1. Einleitende Worte
Denkt man heutzutage an jüdische Kunst, beginnt die persönliche Zeitrechnung meist erst nach 1945. Was davor war, wird verdrängt, weil man nicht damit umzugehen weiß. Doch was noch vor dem Holocaust war, ist einfach nicht bekannt. Meist unbeachtet bleibt die Tatsache, dass die damalige Geschichte der Juden noch nichts von einer geplanten Ausrottung ihrer Glaubensgemeinschaft wusste und somit der Umgang mit ihrer Religion ein ganz anderer und vielleicht auch etwas lockererer war, als es heute überhaupt möglich ist.
Zwischen 1900 und 1938, das Jahr der Annexion Österreichs durch Deutschland, florierte in Wien eine Kultur, die maßgeblich von jüdischen Künstlern bestimmt wurde. Fernab von dem Grauen des Zweiten Weltkrieges bildete sich die Wiener Leopoldstadt zum Zentrum für Cabaret, Theater und Variete heraus. Ganz zu schweigen von der noch heute als Wahrzeichen geltenden Kaffeehaus-Kultur. Man bezeichnete die Leopoldstadt als freiwilliges jüdisches Getto, da sie zwar früher bereits Getto gewesen war, sich aber zur Zeit der Jahrhundertwende eine jüdische Kultur angesiedelt hatte, deren Separierung vom Rest Wiens noch keine erzwungene war. Am Nordbahnhof der Leopoldstadt kamen viele ostjüdische Flüchtlinge an, die als „alte Staatsbürger der Monaraaaachie" nach Österreich zurückkehrten. Sie mussten wegen verschiedener Pogrome und politischen Veränderungen fliehen. So auch Joseph Roth, der in seinem Essay „Juden auf Wanderschaft" sowohl das Leben der Juden am Rande ihrer Existenz darstellt (s. Anhang), als auch von dem Glanz damaliger Lebenskunst erzählt.
Um 1890 entstanden in der Leopoldstadt die ersten jüdischen Bühnen, die schon bald ihre ersten Star hervorzauberten, die häufig von einer aus heutiger Sicht bizarren Selbstironie geprägt waren. Einer der ersten „Großen" war beispielsweise Heinrich Eisenbach, der selbst in Krakau zur Welt kam und in Wien in renommierten Etablissements wie dem „Hotel Stefanie" bekannt wurde und nach Zeugenberichten kein Thema für seine Spaße ausließ:
„In einem Menschen wie Eisenbach ist es wieder einmal die nie zerstörttare, nicht zu bändigende Lebenskraft, die der Getto-Traurigkeit entwischen will. (...) Pathos des Leidens wandelt sich in zynischem Witz, Verzweiflung kippt um und spottet ihrer selbst in gesalzenen Spaßen, tausendjähriger Schmerz wird zum Gelächter des Abends." (Felix Saiten)
So bildete sich in der Leopoldstadt eine eigenständige „Jiddische Kultur", deren Wurzeln wie bereits erwähnt vor allem in Galizien, Polen, Rumänien und Russland lagen und die durch die ostjüdischen Flüchtlinge nach Wien gebracht wurden. Diese Kultur wurde jedoch noch vor ihrer Blütezeit zum Stillstand gebracht und ist heute fast dem Vergessen geweiht.
Manche der jüdischen Künstler dieser Zeit, wie Fritzi Massary, schafften sowohl die Flucht vor den Nationalsozialisten als auch den Sprung ins Gedächtnis mancher Liebhaber. Andere vielen dem Holocaust zum Opfer, oder sind zu längst vergessenen Namen geworden. Noch so lang es möglich war, wurde selbst der immer größer werdende Nationalsozialismus in Österreich, der sich nach einem Großdeutschen Reich sehnte, parodiert. So bezeichnete bereits Alfred Polgar Wien als das „fidele Grab an der Donau".
Diese Facharbeit soll jedoch Reste einer Kultur zeigen, die es geschafft hat in solch einer politisch brisanten Phase und mit einer noch brisanteren Vergangenheit eine der witzigsten ihrer Zeit zu sein. Aus heutiger Sicht fällt ein vorbehaltsloser Blick auf jüdische Künstler dieser Zeit schwer und vielleicht sind die Witze auch viel zu unmodern, als dass man sie verstehen könnte, doch diese Künstler sind ein Teil des damaligen Glanzes von Wien, mit dem die Stadt noch heute assoziiert wird. Diese Mappe weiß selber nicht viel von jener Zeit, will aber die Möglichkeit geben, ein eigenes Bild zu erkennen, das vielleicht auch dem Lebensgefühl der Wiener Leopoldstadt zur Jahrhundertwende gleicht und will erklären, was die Leopoldstadt ist und welche Kultur in ihr entstanden ist.
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