HILDE DOMIN - IMMER KREISEN

Hilde Domin wuchs in Köln in jüdisch-großbürgerlichen Verhältnissen auf. Ihre Mutter war ausgebildete Opernsängerin, trat jedoch nicht öffentlich auf. Aus Bewunderung für ihren Vater, einem Rechtsanwalt, studierte Hilde Domin nach dem Abitur zunächst Jura, danach Nationalökonomie, Soziologie und Philosophie in Heidelberg, Köln und Berlin. Ihre Lehrer waren u.a. Karl Jaspers und Karl Mannheim.

Flucht in die Karibik und die Entdeckung der Literatur als Heimat

Angesichts der drohenden Machtübernahme der Nationalsozialisten verließ sie zusammen mit Erwin Walter Palm, Student der klassischen Archäologie und Philologie, bereits 1932 Deutschland, um ihr Studium in Rom und Florenz fortzusetzen. In Florenz promovierte sie 1936 über die Staatstheorie der Renaissance. Noch im selben Jahr heiratete sie Erwin Walter Palm. Im Februar 1939 flüchtete sie mit ihrem Mann nach England und ein Jahr später in die Dominikanische Republik. Zwölf Jahre lebte sie in Santo Domingo, arbeitete privat und öffentlich als Lehrerin und übersetze literarische und wissenschaftliche Texte und beteiligte sich als Sekretärin und Fotografin an den Forschungsprojekten ihres Mannes. 1947 erhielt sie eine Anstellung als Lektorin für deutsche Sprache an der Universität Santo Domingo. 1951, wenige Wochen nach dem Tod ihrer Mutter und fast drei Jahre vor ihrer Rückkehr nach Deutschland, schrieb sie ihr erstes Gedicht. Dieses von ihr als Wiedergeburt empfundene existentielle Erlebnis hat sie in ihrem Buch „Von der Natur nicht vorgesehen“ (1974) eindrucksvoll beschrieben: „Wie ich, Hilde Domin, die Augen öffnete, die verweinten, in jenem Hause am Rande der Welt, wo der Pfeffer wächst, der Zucker und die Mangobäume, aber die Rose schwer, und Äpfel, Weizen, Birken gar nicht, ich verwaist und vertrieben, da stand ich auf und ging heim, in das Wort.“

„Heim ins Wort“

Zwischen Herbst 195 1 und Herbst 1953 entstanden zunächst noch in Santo Domingo, danach in Haiti, dann in den USA etwa 200 Gedichte. 1954 kam sie das erstemal nach Deutschland, „dahin, wo das Wort lebt“. Erste Gedichte erschienen in deutschen Zeitschriften. 1959 veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband „Nur eine Rose als Stütze“, der uneingeschränkte Anerkennung fand: „Was diese Dichtung zu einer 'poetic justification of man', (Richard Exner) werden lässt, ist die Katholizität der Erfahrungsfülle, die ergreifende Lauterkeit der Erlebnistiefe, die Weisheit unter dem kaleidoskopischen Reichtum der poetischen Verwandlungen der Wörter, Bilder und Dinge: dass in einem Dasein voller Abschiede, unter der Leidbürde schutzlosen Unverankertseins, am Ende nur das Hinfälligste zum Verlässlichsten werden kann. Die Rose, zartestes Inbild alles Vergänglichen im Individuationsprozess, wird nach dem Brüchigwerden aller Konsistenz zum dauerhaftesten und unwiderlegbarsten aller Erscheinungsbilder, zu einem fast unzerbrechlichen Halt. Auch Hilde Domin, die von Ferne zu Ferne Gejagte, kann anstelle von Heimat nur die Verwandlungen der Welt halten.“ (Horst Meller). ...  In den folgenden Jahren veröffentlichte Hilde Domin vier weitere Lyrikbände, zahlreiche Essays, Kurzprosa, Autobiographisches und gab mehrere Anthologien heraus. Seit 1961 mit festem Wohnsitz in Heidelberg führten Lese- und Vortragsreisen sie in viele Länder.

Vertreibung aus dem Vater-Mutterland

1968 erschien ihr Roman „Das zweite Paradies“. Vor dem unschwer als autobiographisch erkennbaren Hintergrund erzählt Hilde Domin die Geschichte eines aus dem Exil in das Deutschland der fünfziger Jahre zurückgekehrten Paares. Nach der Vertreibung aus dem Vater-Mutterland, der Infragestellung aller Werte, ist das ersehnte Zurück in ein Zuhause der selbstverständlichen Geborgenheit, in eine fraglose Zugehörigkeit zu Menschen und Orten, auch in eine vorbehaltlose Nähe zueinander nicht mehr möglich. Das „erste Paradies“ bleibt verschlossen. Nach zeitweiliger Entfremdung und Trennung von ihrem Mann entsteht der Entwurf eines „zweiten Paradieses“. Es ist dies ein im Wissen um die Gefährdung und Verlierbarkeit bewusst erworbenes Zuhause und eine durch behutsames Infragestellen und Aufbrechen alter Rollenmuster erreichte vorsichtige Nähe. Das bereits 1961 fertiggestellte Buch wurde I968 mit aktualisierenden Zeitschriften-Zitaten veröffentlicht. 1986 wurde es in seiner ursprünglichen Fassung neu aufgelegt.

Hilde Domin ist für ihr Werk mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, u.a. 1968 Ida-Dehmel-Preis, 1971 Droste-Preis der Stadt Meersburg, 1972 Heine-Plakette der Heinrich-Heine-Gesellschaft Düsseldorf, 1974 Literaturpreis der Stadt Bad Gandersheim (Roswitha-Plakette), 1976 Rainer-Maria-Rilke-Preis für Lyrik, 1982 Richard-Benz-Medaille der Stadt Heidelberg, I992 Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland Pfalz, 1992 Friedrich-Hölderlin-Literaturpreis der Stadt Bad Homburg, 1992 erste Preisträgerin des zu ihrem 80. Geburtstag von der Stadt Heidelberg gestifteten Preises «Literatur im Exil», 1993 Hermann-Sinsheimer-Preis.

© Katja Schönherr

 

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